10 Fragen an Frank Kühne

Uns alle verbinden gute Geschichten und die Leidenschaft, Kinder und Jugendliche für diese zu begeistern. Im Rahmen der Bücherkinder-Interview-Reihe möchte ich diese Menschen vorstellen.

Wer sind Sie und wie sieht Ihre Arbeit mit Kinderbüchern aus?
Ich bin Frank Kühne, Programmleiter im Carlsen Verlag. Ich begleite seit vielen Jahren als Lektor mit großer Freude Autorinnen und Autoren, Illustratorinnen und Illustratoren bei ihrer Arbeit an Kinderbüchern. Außerdem leite ich ein Team von 16 großartigen Kinderbuchlektorinnen in den Bereichen Pappbilderbuch (Hör-mal etc.), Kindersachbuch ( Frag-doch-mal-die-Maus etc.) Bilderbuch (Das kleine WIR etc. Lesemaus, Pixi, Conni, Reihen+Serien (Schule der magischen Tiere, Bitte-nicht-öffnen, Ponyherz, Carlotta etc.) und bin damit verantwortlich für ca. 250 Carlsen-Novitäten jedes Jahr und ca. 27 Mio. Euro.

Wie würden Sie sich aktuell in drei Hashtags (#) beschreiben?
#wennnichtwirwerdann
#allesliegtvoruns
#deepreading

Welches Buch liegt derzeit ganz oben auf Ihrem Nachttisch und warum?
Matthias Brandt, Blackbird
Ich bin neugierig auf seine Geschichten aus Kindheiten. Raumpatrouille habe ich sehr gemocht und verstanden. 70er eben. Mein altes Zuhause.

Darunter lugt aber schon seitlich hervor:
Sally Rooney, Gespräche mit Freunden
Sehr frei geschrieben und genau beobachtet und öffnet den Kopf für Neugier auf Leben. Bin halbdurch.

Und direkt darunter liegt gleich:
Leah Price, What we talk about when we talk about books
Ich bin immer noch so beeindruckt von Maryanne Wolfs „Schnelles Lesen langsames Lesen“. Es ist so spannend, die Entwicklung des Lesens zwischen analog und digital in unserer Zeit live mitzuerleben (und mitzugestalten). Ich möchte mehr darüber wissen und bin neugierig auf das Buch von Leah Price, Lothar Müller von der SZ hat es empfohlen bei „Welche Zukunft hat das Lesen“ im Hamburger Literaturhaus.

Wie beeinflusst Ihre Arbeit mit bzw. für Kinder und Jugendliche Ihre Sicht auf die heutige Gesellschaft und unsere Welt?
Für mich persönlich ist es ein riesengroßes Lebensglück, bei meiner Arbeit etwas zu machen, was mit Kindern zu tun hat. Immer wieder. Ich wusste als fünfundzwanzigjähriger Student nicht genau, was auf mich wartete. Heute bin ich so dankbar, dass ich die Welt noch mit Kinderaugen sehen darf und auch sehen sollte. Andere sagen über mich, dass ich „mit Kindern kann“.
Der Blick aus Kinderaugen bewahrt mich vor Frustration, vor Zynismus, vor Resignation. Diese Kinderperspektive auf die Welt schenkt mir immer ein #allesliegtvoruns-Gefühl und das gibt mir Kraft und Einsicht und Verantwortung. Ich darf täglich von Neuem anfangen.
Über manche Zustände in unserer Gesellschaft, die die Wertschätzung und den Umgang mit Kindern und Jugendlichen betreffen, kann ich sehr wütend werden und dann packt mich der heilige Zorn. Warum wird die kulturelle Vielfalt der Kinder und Familien in unserer Gesellschaft so wenig gefeiert? Warum wird die Arbeit von Kindheitspädagog*innen und Grundschullehrer*innen so wenig wertgeschätzt und so schlecht bezahlt? Wir wissen heute doch alle sehr genau, wieviel sich in den ersten Jahren eines Menschen entscheidet? Warum handeln wir nicht danach? Wir wissen, wie wir bedürftige Kinder besser unterstützen könnten. Warum tun wir es nicht ausreichend? Wir wissen, dass Investitionen in Kindheiten so wertvoll sind und so viele Früchte tragen können. Warum sind wir nicht großzügig? Wir wissen, dass Leseförderung in Nichtleser-Familien extrem wichtig, schwierig, aber alternativlos ist. Warum gehen wir es nicht noch gezielter an? Wir wissen, dass die Lesekompetenz vieler 10-Jähriger überhaupt nicht ausreichend ist. Warum gibt es keinen nationalen Lese-Pakt?
Ja, manches ist schon besser geworden, aber es ist noch nicht annähernd gut genug.
Ich bin so froh, dass es Greta Thunberg gibt. Plötzlich kommt mit ihr eine neue Generation engagierter Kinder und Jugendlicher, die kompromisslos und klar fordern, Wissen, Handeln und Verantwortung zusammenzubringen. So kraftvoll! So notwendig! „Shame on us.“

Was ist die treibende Kraft, auch weiterhin was mit Kinderbüchern zu machen?
Ein gelungenes Buch bereitet mir immer wieder eine tiefe Freude und allerhöchste Motivation. Wenn aus Ideen und Gedanken und Farben und Bildern langsam ein Buch entsteht, ist dies immer wieder ein faszinierender Prozess. Wenn dann ein Vorab-Exemplar aus der Druckerei kommt, wenn ich es aufgeregt in die Hand nehmen kann und prüfe, ob alles gelungen ist, dann ist das für mich auch beim 1.000sten mal immer wieder echtes Buchfieber. Gelungene Bücher kann es nie genug geben.
Auf der anderen Seite motiviert mich total, Kinder fürs Lesen und für Bücher und für Bildung durch Bücher zu gewinnen. Ich bin so glücklich, wenn Bücher als entschleunigte und entschleunigende Medien ihren Platz im Kinderleben und in der Medienlandschaft bekommen. Bücher lesende Kinder. Dafür lohnt sich alles und dieses Ziel bleibt mir immer bestehen.

Wie begeistern Sie potenzielle Nichtleser für das Buch?
Kinderbücher müssen stattfinden. Das Medium Buch zeigt nicht, was es kann und wie man es bedient. Was beim Lesen im Kopf und im Herz passiert, kann niemand von draussen sehen, und das ist ein Manko des Buches in seiner Konkurrenz zu anderen Medien. Was ein Buch kann, das kann nur ein Mensch einem anderen Menschen vermitteln. Das ist leider mühsam. Dafür braucht es Orte, Menschen, Bücher. Ich engagiere mich vielfältig und umfangreich ehrenamtlich dafür, die Rahmenbedingungen für Buchbegeisterung zu verbessern.
Wir Buchleser müssen uns mehr offen dazu bekennen und uns den Nichtlesern zeigen. Ich will Nichtleser eifersüchtig machen.

Was macht für Sie ein gutes Kinderbuch aus?
Ein gutes Kinderbuch schafft es, beim lesenden Kind etwas zu bewegen. Das ist überhaupt nicht selbstverständlich. Bei einem guten Kinderbuch springt etwas vom bedruckten Papier rüber in Kopf und Herz der Kinder, um sich dort einzunisten und zu bleiben. Das ist bei 1-jährigen genauso wie bei 12-jährigen.

Dieses Verstehensereignis ist erst einmal die Basis. Und das schaffen viele schlechte Bücher nicht. Manche Texte erzählen zu sprunghaft, lassen nichts in der Vorstellung der Kinder entstehen. Manche Texte sind zu unüberlegt, manche zu leer, manche zu hermetisch. Viele Bilder erzählen nicht sorgfältig genug, was die Kinder in ihnen entdecken sollen.
Ein gutes Buch muss vieles auf so vielen verschiedenen Ebenen handwerklich gut können. Ein gutes Buch lässt sich nicht erzwingen. Ein gutes Buch ist auch ein Glücksfall.

(Ich träume davon, dass nach TL;DR irgendwann die langen Sätze wiederkommen…)

Wie hat sich Ihre Arbeit mit fortschreitender Digitalisierung verändert?
Nach nun ca. 15 Jahren Erfahrungen mit Digitalisierung im Kinderbuch stellt es sich mir heute so dar, dass das Medium Kinderbuch selbst deutlich analog geblieben ist. Aber die Arbeit am Buch und die Kommunikation drumherum sind heute weitgehend digital. Jedoch niemals ganz: unersetzbar wichtig bleibt das Gespräch. Analoge Live-Kommunikation mit echten Menschen in echten Räumen toppt jeden Datenfluss.

Welche sozialen Netzwerke nutzen Sie und warum?
Facebook, twitter, whatsapp.
Weil ich neugierig darauf bin, was andere Menschen denken, fühlen, reden und tun. Es ist eine gute Erfahrung, sich heute über Entfernungen hinweg mit vielen Menschen vernetzen zu können.

Mit welchem Kinderbuchmenschen sollten wir dieses Interview unbedingt mal führen?
Ayse Bosse, Autorin und Trauerbegleiterin


Frank Kühne ist Programmleiter des Carlsen Verlags.
Titel- und Beitragsbild: © Privat

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