Wie viele Arten des Mobbings gibt es?

Matteo (16): Auch wenn Eltern oft davor warnen, Lehrer zum Teil ganze Unterrichtseinheiten darüber sprechen und man auch manchmal von Gleichaltrigen Geschichten über Mobbing zu hören bekommt, ist dieses Thema zumindest für einen Großteil der Jugendlichen bloß nebensächlich. So ging es bisher auch mir, denn natürlich wurde mir schon oft etwas über dieses Thema erzählt, doch bewusst wahrgenommen hatte ich bisher noch nichts Derartiges. Deshalb bin ich froh, vier Bücher zum Thema Mobbing gelesen zu haben, denn sie haben mich diesem Thema um einiges näher gebracht als alle Vorträge, die ich bisher darüber gehört habe. Und auch wenn man anfangs womöglich denkt, es wäre etwas eintönig, so viele Bücher mit demselben Überthema zu lesen, irrt man sich darin gewaltig, denn es ist vielseitiger, als man zu Beginn erwartet. Diese Vielfalt haben die Autoren Lucinde Hutzenlaub, Gabi Kreslehner, Michael Sieben und Val Emmich in ihren vier Büchern sehr deutlich klargestellt.

Ich bin V wie Vincent

Jugendbuch ab 12
von Lucinde Hutzenlaub
Planet! Verlag 2019

Milo ist frisch aus Namibia hergezogen. Dort hatte er Freunde, eine glückliche Familie und Hobbys. All dies fehlt ihm nun in Deutschland: Ein Basketballverein ist weit und breit nicht in Sicht, seine früher so fröhliche Familie scheint selbst Probleme mit dem Anpassen an die neue Umgebung zu haben und deshalb hat jeder Einzelne begonnen, seinen eigenen Weg zu gehen. Auch von Freunden kann man wohl kaum sprechen. Im Gegenteil – in der Schule machen ihm Max und dessen Freundesgruppe das Leben regelrecht zur Hölle. Umso erstaunter ist Milo, als ausgerechnet Nike, die Hübscheste aus der Klasse, beginnt, sich mit ihm anzufreunden. Damit ist er allerdings nicht allein, denn Max scheint diese Tatsache nicht zu passen…

Manchmal hat man bei Büchern das Problem, sich nur schwer oder sogar gar nicht in die Personen hineinversetzen zu können. Dieses Problem hat Lucinde Hutzenlaub umgangen, indem sie die Kapitel aus den Perspektiven von Nike, Milo und dessen Bruder Carl geschrieben hat. Besonders in den Abschnitten aus Milos Sichtweise wird deutlich, wie stark dieser unter dem Mobbing und der kollektiven Ausgrenzung leidet. Allerdings zeigt auch Nikes Blickwinkel, wie schwer es für Außenstehende ist, zu intervenieren oder dagegen vorzugehen. Am Schlimmsten dabei ist die Angst, das nächste Opfer einer solchen Gruppe zu sein und der Gedanke, nichts bewirken zu können.

In ihrer Danksagung erwähnt die Autorin auch, selbst Erfahrung mit Mobbing gemacht zu haben. Dies hatte ich mir zwar schon während ich das Buch las gedacht, da alles sehr detailliert, gefühlvoll und realistisch ausgearbeitet ist, doch durch die Bestätigung fühlt man sich dem Thema ein ganzes Stück näher. Besonders erstaunt hat mich, dass sich dermaßen viele Schüler gemobbt fühlen, weshalb ich mich frage, ob das bloß eine Übertreibung der Autorin war oder ob mehrere Schüler das Alltagsleben womöglich anders wahrnehmen als der Rest der Klasse. Darauf aufmerksam wird man, als die unzähligen Antworten und Clicks bei Milos anonymen YouTube-Videos zum Vorschein kommen.

Mir persönlich hat dieses Buch sehr gefallen, denn bis dahin hatte ich mich noch kaum mit dem Thema Mobbing auseinandergesetzt. Es war etwas völlig anderes, sich Vorträge darüber anhören zu müssen oder freiwillig einen solchen Roman zu lesen. Deshalb empfehle ich dieses Buch allen Lesern schon ab 14 Jahren, denn es ist gut geschrieben und man bekommt einen tiefen Einblick in die Sichtweise der Opfer. 5 Sterne.

Dear Evan Hansen

Jugendbuch ab 14
von Val Emmich, Steven Levenson, Benj Pasek, Justin Paul
übersetzt von Catrin Frischer
cbj 2019

Dear Evan Hansen. So lauten die ersten Worte des Abschiedsbriefs, der beim verstorbenen Schüler Connor Murphy gefunden wurde. Für dessen Familie ist sofort klar: Ihr oftmals so einsamer Sohn Connor hatte doch einen Freund, nämlich Evan.
Doch sie irren sich. Evan weiß erst gar nicht, wie ihm geschieht, als er plötzlich von den verzweifelten Eltern seines Mitschülers damit konfrontiert wird, und kann deshalb gar nicht reagieren. Als er schließlich begreift, worin der Irrtum besteht, ist es bereits zu spät. Denn inzwischen ist die Familie etwas beruhigt und durch Evans Erzählungen über seinen Freund scheinen Connors Eltern viel besser mit der Situation zurechtzukommen. Außerdem ist der früher so unscheinbare Evan durch diese Geschichte plötzlich zu einem bekannten Gesicht an der Schule geworden und auch für Connors Schwester, die er schon seit Jahren anhimmelt, existiert er plötzlich. Also beschließt Evan, die Lüge zum besten aller aufrechtzuerhalten, schließlich ist er es ja nicht gewesen, der auf diese Idee gekommen ist und somit unschuldig …

Diese Geschichte hat mir vor Augen geführt, wie stark einige Menschen darunter leiden, wenn sie das Gefühl bekommen, niemanden zu haben, mit dem sie sich unterhalten können oder der sie wahrnimmt. Zum Teil sind solche Menschen sogar dazu bereit, sich das Leben zu nehmen (wie in diesem Fall Connor Murphy) oder eine so schwere Lüge aufrechtzuerhalten, wie Evan Hansen, nur aus Angst, später nicht mehr wahrgenommen zu werden. Das hat mir gezeigt, dass Jugendliche nicht automatisch gemobbt werden müssen, um sich in ihrem Umfeld schlecht zu fühlen.

Obwohl ich mich noch nie in einer Situation wie Evan befunden habe, konnte ich mich sehr gut in ihn hineinversetzen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich anders gehandelt hätte, wenn es mir auch so ergangen wäre wie ihm. Denn wenn man sich seit mehreren Jahren nichts sehnlicher wünscht, als endlich wahrgenommen zu werden, ist es selbstverständlich, dass man das Gefühl des nicht mehr unsichtbar Seins nicht so einfach aufgeben möchte.
Besonders gefallen hat mir an diesem Roman, dass das Hauptereignis direkt am Anfang geschehen ist und es im restlichen Verlauf des Buches dann um die Folgen dieses Ereignisses ging. In manchen Geschichten ist es genau umgekehrt, dann ist das Hauptereignis am Ende und die Zeit davor wird beschrieben, wie es dazu kommt. Dies kann natürlich auch spannend sein, doch ist diese Erzählweise viel häufiger, weshalb ich die Anordnung – wie in dieser Geschichte –  immer automatisch als besonders sehe. Außerdem konnte ich mich hervorragend in alle Situationen hineinversetzen, obwohl es mir in Wirklichkeit völlig anders als Evan geht. Das ist dem Autor auch sehr gut gelungen, denn in der Regel kann es gut möglich sein, dass ich ein Buch auch mag, ohne mich in die Hauptperson hineinzuversetzen, aber wenn dies klappt, bin ich dem Handlungsgeschehen sofort viel näher.

Ich vergebe diesem Buch gerne 5 Sterne, denn es ist sehr fesselnd und ausführlich geschrieben und hat viele Besonderheiten, die es von anderen Büchern unterscheiden. Schon die Idee ist etwas völlig Neues, denn zum Beispiel Abenteuerromane können meistens zwar sehr spannend sein, doch manchmal finde ich die Geschichten zu ähnlich. Dies ist bei diesem Buch nicht der Fall, denn abgesehen von der Schreibweise ist schon die Idee so anders, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass es weitere solche Bücher gibt. Ich empfehle diesen Roman an Jungen und Mädchen ab 15 Jahren.

Nils geht

Jugendbuch ab 13
von Gabi Kreslehner
Tyrolia Verlag 2020

Nils ist erst seit einem Jahr in seiner neuen Klasse. Das scheint seine Lage allerdings sogar noch zu verschlechtern. Denn er ist nicht nur völlig alleine und ohne Freunde da, sondern wird auch noch von den „schrecklichen vier“, wie die Gruppe aus Jo, Rasmus, Fadi und Mila oft genannt wird, gemobbt. Es beginnt bereits jeden Morgen, wenn er zur Schule kommt. Sie hauen ihm auf die Schulter, geben ihm unerwünschte Spitznamen und die Lehrer bemerken nichts von alldem. Im Sportunterricht geht es dann weiter, indem sie ihn immer mit voller Wucht abschießen und abwerfen. Und niemand schreitet je ein, denn alle haben Angst, dass ihnen dasselbe Schicksal widerfährt. So passiert eines Tages das unausweichliche: Nils versucht selbst, sich zu wehren.

Das Buch ist sehr kurz (139 Seiten), weshalb man es problemlos an einem Tag lesen kann. Allerdings liegt das nicht bloß an der geringen Seitenzahl, denn es gibt trotzdem genügend so kurze Bücher, für die man um einiges länger braucht. In diesem Fall hat Gabi Kreslehner die Geschichte jedoch so aufgebaut, dass man das Buch an den meisten Stellen gar nicht aus den Händen legen will. Dazu tragen auch die verschiedenen „Cuts“ bei, in denen dann von einer in der Zukunft geschehenen Polizeibefragung die Rede ist. Beziehungsweise die Befragung ist in der Gegenwart und die erzählten Stellen in der Vergangenheit, damit man darauf schließen kann, wie es zur Befragung gekommen ist. Im Gegensatz zu allen anderen Büchern aus diesem Beitrag über Mobbing, tat mir Nils hier sofort und dauerhaft Leid, denn hier hat größtenteils wirklich niemand zu ihm gehalten. Wenn man völlig alleine da steht, die Eltern und Lehrer nichts unternehmen und in der Klasse keiner mit einem redet, aus Angst, selbst zum Opfer zu werden, ist das Leben wirklich ein Albtraum. Weniger gut fand ich in dieser Geschichte allerdings, dass sie so kurz ist. Die Länge an sich ist zwar nicht das Problem, doch durch die wenigen Seiten und die kurze Lesedauer ist es auch schwierig, einen wirklichen Bezug zu den Figuren aufzubauen. Denn oftmals finde ich, dass man zumindest eine Nacht über das Gelesene schlafen sollte, um sich wirklich in das Geschehen und die verschiedenen Charaktere hineinversetzen zu können. Wenn man allerdings alles auf einmal liest, bekommt man kaum die Gelegenheit, sich wirklich Gedanken über den Roman zu machen.
Trotzdem hat die Autorin es geschafft, Nils Lage sehr eindeutig und realistisch darzustellen, wodurch man wirklich anfängt zu grübeln, ob man denn tatsächlich in einem solchen Fall eingesprungen wäre oder ob man sich nicht anders als der Rest der Klasse verhalten hätte. Dies wird auch in den Befragungsabschnitten von Sarah, Nils Nachbarin, deutlich, denn diese hat sich auch aus allem herausgehalten und es im Nachhinein bereut.

Ich vergebe diesem Buch trotzdem 5 Sterne, denn auch ohne viel darüber nachzudenken, hat es Spaß gemacht, diesen Roman zu lesen. Zwei Stunden lang wollte ich ihn gar nicht aus den Händen legen. Dieses Buch kann man gut auf Reisen lesen, um einen schnellen, klaren Einblick in das Leben eines gemobbten Jungen zu bekommen, da man solche Situationen ansonsten oft unterschätzt, wodurch sie zu eskalieren drohen. Ich empfehle dieses Buch schon an Jungen und Mädchen ab 14 Jahren.

Das Jahr in der Box

Jugendbuch ab 13
von Michael Sieben
Carlsen 2020

Pauls Mutter Bille (so wird sie von Paul genannt) ist ganz fixiert mit Umzügen. Deshalb sind sie erst letztes Jahr aus Berlin nach Wicker gezogen. Dort hat sich Pauls Leben allerdings schlagartig verändert. Statt guten Freunden, wie in Berlin z. B. sein Freund Marvin einer war, ist er in Wicker bereits von Anfang an das Mobbingopfer der Klasse. Allerdings in einer anderen Art und Weise, als Nils in „Nils geht“. Denn hier fürchten sich nicht alle nur vor dem Hauptmobber Wieland und unternehmen deshalb nichts dagegen ( wie es in „Nils geht“ der Fall war) sondern hier machen alle Klassenkameraden beim Mobbing mit. Fast alle – Ken und Mehmet halten zu Paul.

Der Roman ist nicht „live“ geschrieben, sondern nur aus den Erinnerungen von Paul, der an das vergangene Jahr zurückdenkt, indem er eine Box mit Gegenständen aus dem vergangenen Jahr ausräumt, die mit bestimmten Erinnerungen verbunden sind. Normalerweise mag ich solche Bücher eher weniger, da ich oft finde, dass es dann deutlich schwerer ist, Spannung aufzubauen. Allerdings hat es in diesem Buch gut gepasst, da es kein Abenteuerroman ist, in dem unbedingt möglichst viel Spannung vonnöten ist, sondern viel mehr eine Erzählung. Ich fand dieses Buch sehr fesselnd beschrieben.

Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob man es wirklich unter die Kategorie „Mobbing“ stellen kann, denn Paul wird zwar von fast der ganzen Klasse geärgert, doch er findet sofort zwei Freunde, die ihm dann dauerhaft zur Seite stehen. Der Geschichte an sich ist zwar sehr interessant, doch es gibt viele Wendungen, die ich etwas schade fand, da sie nicht unbedingt nötig gewesen wären. Der Autor hat mehrfach versucht, in einer Sprache zu schreiben, die er für eine Jugendsprache hält und das ist ihm im Verhältnis zu den meisten anderen Büchern, die sowas probieren, auch ziemlich gut gelungen. Trotzdem bevorzuge ich eindeutig eine normale Schreibweise, da diese angebliche jugendliche Wortwahl zwar in manchen Fällen passt, in vielen anderen dagegen erzwungen wirkt.

Ich vergebe diesem Roman “nur” 4 Sterne, da ich Bücher trotzdem mehr mag, in denen alles hintereinander geschrieben steht und man sich fehlende Stellen nicht denken muss. Auch die konstruierte Jugendsprache hat mich ein wenig gestört, da diese zum Teil aus vielen Vorurteilen bestand, wie Erwachsene denken, dass Jugendliche sprechen, aber wie in Wirklichkeit kaum jemand redet.
Besonders geeignet ist dieses Buch für Jungs und Mädchen ab 15 Jahren.

Auffallend an diesen verschiedenen Mobbing-Büchern ist vor allem, dass sowohl der Gemobbte, als auch der Mobber bzw. die Mobbergruppe immer nur Jungs sind. Außerdem ist der Gemobbte immer gerade hergezogen und der Neue in der Klasse. Da ich selbst noch kein Mobbing miterlebt habe, kann ich aber leider nicht sagen, ob das zufällig war, ob es wirklich meistens so ist oder ob das einfach nur das Klischee ist.
Bisher hatte ich mich erst kaum mit Mobbing beschäftigt und ich bin der Meinung, dass diese vier Bücher mir einen sehr guten Einblick in das Thema gegeben haben und gezeigt haben, wie schwierig der Umgang damit für alle Beteiligten ist. Auch hätte ich nie gedacht, dass nicht wahrgenommen zu werden zumindest für den hauptbetroffenen mit Mobbing fast gleichzusetzen ist.
Obwohl ich jetzt vier Bücher zum selben Thema hintereinander gelesen habe, war das keineswegs langweilig, da das Gebiet wirklich groß ist und sich alle Bücher ziemlich voneinander unterscheiden. Ich kann nur empfehlen, auch alle vier oder zumindest zwei von ihnen zu lesen, um einen groben Einblick in diesen Themenbereich zu bekommen, denn sonst kann man das leicht unterschätzen.

Matteo Schmidt (16) aus der Kinder- und Jugendredaktion

Matteo ist 16 Jahre alt und seit sechs Jahren Redakteur bei buecherkinder.de. Am liebsten liest er Abenteuerbücher, doch er mag auch andere Genres, nur Sachbücher liest er ungern. Er lässt sich auch nicht von sehr dicken Büchern erschrecken! Wenn er nicht liest, geht er meistens zum Leichtathletiktraining, und dies fünf Mal die Woche.
Beiträge von Matteo

 

Titelbild des Beitrags: Matteo Schmidt
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