Der “große, böse” Wolf im Bilderbuch

Wölfe sind bedrohliche Tiere – irgendwie nahbar, weil unseren so bekannten Hunden ähnlich sind. Und dann doch ganz anders. Wild und gefährlich bei Fehlverhalten. Vielleicht ist es die tiefe kulturelle Verankerung wie etwa über Rotkäppchen, die Wölfe daher zu ganz naheliegenden Figuren in Mutmachgeschichten macht. Gleich drei frisch erschienene Bilderbücher, die sich um Wölfe drehen, sollen hier im Folgenden besprochen werden:

 

Der Tag, an dem ich den bösen Wolf verjagte

Bilderbuch ab 4
Kindermann Verlag 2022
von Amélie Javaux
Annick Masson (Illustr.)
Odile Kennel (Übers.)

„Der Tag, an dem ich den bösen Wolf verjagte“ ist dabei am linearsten erzählt. Der Wolf ist für alle erkennbar eine Metapher für ein mobbendes Mädchen, dem sich unsere Heldin zu widersetzen lernt. Toll daran: Amélie Javaux und Annick Masson bauen eine kleine Schleife ein. Denn erst wird die Gemobbte selbst zum Wolf, zur Mobberin. Ein klar und knapp erzähltes Buch, das mit der guten alten „Gemeinsam sind wir stark“-Botschaft endet. Schade daran: Nerds und Mobberinnen sind hier klar durch Klischees wie Brillen zu erkennen. „Der Tag, an dem ich den bösen Wolf verjagte“ ist ein Buch, das Kindern wirklich helfen kann und will. Schnörkellos und eindeutig bietet es einen guten Gesprächsanlass und konkrete Hilfestellung für Gemobbte. Ob es Mobber*innen auch zum Nachdenken bewegt, sei dahingestellt.

 

Franziska und die Wölfe

Bilderbuch ab 4
Moritz Verlag 2022 (Originalauflage 2000)
von Pija Lindenbaum
Birgitta Kicherer (Übersetzung)

„Franziska und die Wölfe“ ist schon 2000 erschienen und wird gerade vom Moritz Verlag neu aufgelegt. Hier überzeugen vor allem die extrem witzigen Illustrationen. Franziska ist ein extrem ängstliches Kind und weiß das auch selbst. Doch als sie plötzlich allein im Wald ist und hinter den Bäumen die Wölfe hervorlugen, da springt sie über ihren Schatten.
Statt Angst zu haben, ist sie plötzlich diejenige, die den Wölfen allerlei Spiele vorschlägt. Schade ist, dass dieser Umschwung psychologisch nicht so richtig erklärt wird. Aber das macht vielleicht nichts in einem Buch, das vor allem von herrlichsten Absurditäten lebt. So ist dieses Buch nicht nur eines über Mut, es zeigt auch: Manchmal ist es ganz gut, wenn wir allein sind und Freiräume haben, uns und unsere Fähigkeiten selbst zu entdecken, statt uns ständig mit anderen vergleichen zu müssen. Alterslos und eine tolle Entdeckung also für alle, die Wölfe mögen und dem Skurril-Humorvollen nicht abgeneigt sind.

 

 

Im tiefen finsteren Wald

Bilderbuch ab 3
Picus 2022
von Delphine Bournay
Alexander Potyka (Übersetzung)

Für mich das Highlight unter den drei Büchern ist „Im tiefen finsteren Wald“. Schaurige Gestalten treiben sich herum im nächtlichen Wald. Zähne blitzen, Augen funkeln. Und diese Dunkelheit! – Da läuft es uns Leser*innen eiskalt den Rücken herunter. Bis, Moment einmal, was fordern diese Mäuler mit den spitzen Zähnen da? Einen Gutenachtkuss? Und Mama Wolf verkündet, den habe sie schon längst gegeben? Auch die Auas habe sie schon weggepustet?

Delphine Bournay spielt mit Erwartungshaltungen und Vorurteilen. „Im tiefen finsteren Wald“ baut sich auf wie eine Gruselgeschichte und die Illustrationsebene behält diesen Grusel dauerhaft bei. Auf ganzen Doppelseiten sehen wir nichts als Schemen von Bäumen in dunklem Blau und dazwischen leuchtende Augen und Zähne. Doch der Text bricht diese Erwartung erneut und erneut. Das ist so einfach wie witzig und bringt beim Lesen zum Lachen – nicht zuletzt über uns selbst, die wir immer nur das Schlechte erwarten und kaum mit dem Gutenachtkuss rechnen.
Außerdem ist das Buch ein großes, liebevolles Augenzwinkern an alle großen und kleinen Menschen, die den täglichen Kampf um Zu-Bett-Geh-Rituale und das gute alte „Ich kann nicht schlafen“ kennen. „Im tiefen finsteren Wald“ hat das Zeug zum absoluten Klassiker. So schlicht, so tiefsinnig und witzig. – Unbedingt (vor)lesen!

 

Saskia Geisler aus der Bilderbuchredaktion

Saskia Geisler ist riesiger Kinder- und Jugendbuchfan. Wenn sie gerade nicht schmökert oder mit ihrem Hund unterwegs ist, schreibt sie ihre Doktorarbeit im Fach Geschichte. – Darum blogt sie unter lies-geschichte.de auch über historische Themen in Kinder- und Jugendbüchern. Seit Ende 2014 ist sie bei buecherkinder.de dabei.
Beiträge von Saskia

Beitragsfoto: Saskia Geisler

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