Saskia aus der Bilderbuchredaktion: Ein Bekannter von mir studiert Germanistik auf Lehramt und spezialisiert sich auf Sonderpädagogik. Für ein Projekt mit seinen Schüler*innen fragte er mich nach guter Lektüre, die auch Behinderte und ihr Leben spiegele und mit leichtem Entsetzen musste ich feststellen, dass ich ihm nicht so recht weiterhelfen konnte. Ich kannte kaum richtig gute Kinder oder Jugendbücher, in denen auch Menschen mit Behinderung vorkamen als Held*innen. Beim Recherchieren stieß ich auf diese Liste von Raul Krauthausen – bedrückend kurz ist die, um ehrlich zu sein. Umso toller, dass das Thema mittlerweile bei den Verlagen angekommen zu sein scheint. Schließlich wissen wir alle, wie wichtig es sein kann, einerseits Identifikationsfiguren für uns selbst in Büchern zu finden, andererseits aber auch vermeintlich Fremdes oder Anderes in Büchern zu zeigen und so Berührungsängste abzubauen.
Zwei sehr unterschiedliche Bilderbücher zum Thema Inklusion habe ich mir genauer angeschaut: „Alle behindert!“ von Horst Klein und Monika Osberghaus, im Klett-Verlag erschienen, und „Lilly gehört dazu!“ von Irmgard Partmann und Laura Bednarski, das bei Coppenrath verlegt wurde.
Bilderbuch ab 5
von Horst Klein, Monika Osberghaus
illustriert von Horst Klein
Klett Kinderbuch 2019
Bilderbuch ab 5
von Irmgard Partmann
illustriert von Laura Bednarski
Coppenrath 2020
„Alle behindert!“ ist genauso frech, wie der Titel es schon vermuten lässt. Hier wird kein Blatt vor den Mund genommen. Auf jeder Doppelseite wird uns ein Kind mit einer Behinderung vorgestellt. Wir erfahren, was das Kind besonders gern mag, was es gut kann, aber auch, mit was für Schimpfwörtern es oft beleidigt wird und wie wir selbst am besten auf den jeweiligen Menschen zugehen können. So baut „Alle behindert!“ mit seiner ganz direkten, ungeschminkten Art Berührungsängste ab, macht auf Gemeinsamkeiten aufmerksam, verhehlt aber auch nicht die Unterschiede. Und ist zugleich besonders inklusiv. Denn nicht nur eine Querschnittslähmung oder das Downsyndrom werden hier als Behinderung vorgestellt, sondern auch Schüchternheit oder Rowdytum. Ein rundum tolles, witziges Mutmachbuch für Kinder mit und ohne Behinderung!
Da, wo „Alle behindert!“ frech und laut und grellbunt ist, ist „Lilly gehört dazu!“ harmonisch und pastellfarben. Aus Perspektive von Lillys Schwester erfahren wir hier, wie es ist, mit Lilly, die das Downsyndrom hat, zusammen zu leben. Wir lernen, dass es Dinge gibt, die Lilly besonders gut kann (Küsschen geben zum Beispiel) und Dinge, die eher schwierig sind (schnell laufen oder auf Bäume klettern). Lilly wird uns als absolut liebenswert in ihrer Andersartigkeit vorgestellt. Ein bisschen schade ist dabei, dass sie nicht selbst auch ein wenig zu Wort kommt.
Welches Buch nun eher gefällt, ist wohl eine Typfrage. Ich selbst würde „Alle behindert!“ in seiner Frechheit und Direktheit vorziehen, kann mir aber gleichzeitig vorstellen, dass das extrem harmonische, liebevolle „Lilly gehört dazu!“ in manchen Situationen die passendere Lektüre ist. Auf jeden Fall ist es toll, dass offensichtlich immer mehr Verlage begreifen, dass Behinderung ein Thema ist, über das erzählt werden kann und muss.
Saskia Geisler aus der Bilderbuchredaktion
Saskia Geisler ist riesiger Kinder- und Jugendbuchfan. Wenn sie gerade nicht schmökert oder mit ihrem Hund unterwegs ist, schreibt sie ihre Doktorarbeit im Fach Geschichte. – Darum blogt sie unter lies-geschichte.de auch über historische Themen in Kinder- und Jugendbüchern. Seit Ende 2014 ist sie bei buecherkinder.de dabei.
Beiträge von Saskia
Beitragscollage: Saskia Geisler
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