Bohem – Besondere Bücher

Ein Beitrag von Fabienne Pfeiffer aus der Bilderbuch-Redaktion

Den Anspruch, besondere Bücher zu veröffentlichen, die anderswo vielleicht untergehen oder übersehen würden, untermauert der kleine Verlag, der seinen Ursprung in der Schweiz hat, mit jedem seiner überschaubaren, feinen und sorgsam zusammengestellten Programme aufs Neue. So finden sich auch diesmal poetische und künstlerische Bilderbücher aus ungewöhnlichen Perspektiven neben nostalgischen Erzählungen und einem unkonventionellen Sachbuch – ein kleiner Querschnitt.

Ein Strandtag

Bilderbuch ab 3
von Vessela Nikolova
illustriert von Susanna Mattiangeli

Bohem 2020

Während der Winter uns noch fest im Griff hat, kann man vom Sommerurlaub ja immerhin schon einmal träumen – oder aber sich zurückerinnern an die Strandtage des vergangenen Jahres, die man als Kind wohl vielfach ganz anders erlebt als die Erwachsenen.

Ein Strandtag lädt kleine wie auch große Betrachter am Meer ein, zum Buddeln im Sand, die leider auch Eisverpackungen und Plastikdeckel zu Tage fördert, oder zur Muschelsuche, bei der es erstaunlich viele unterschiedliche Füße zu entdecken gibt. Schaut man ein bisschen höher, sind da auch jede Menge Pops und Bäuche, denen man manchmal ausweichen muss, und schließlich unzählige Kindergesichter: mal allein, mal zu zweit, mal schüchtern, mal forsch. Doch wenn man bei all der Unterschiedlichkeit den eigenen Sonnenschirm aus den Augen verloren hat, sieht plötzlich doch alles gleich aus und man fühlt sich richtig verloren … bis aus dem Stimmengewirr der eigene Name klingt. Alles gut!

Und genau das ist es, was man aus diesem Buch mitnimmt – viele kleine, zarte Eindrücke, gefasst in leichte Buntstiftskizzen, die fast schon ein wenig Zuckersand und Sonnencremearoma transportieren. Ein leises Buch, das ein wenig glücklich macht.

Traum von Venedig

Bilderbuch ab 3
von Štěpán Zavřel
Bohem 2019

Wer es noch ein wenig poetischer und künstlerischer mag, träumt sich vielleicht nach Venedig – zusammen mit Marco, der in Ein Traum von Venedig die Lagunenstadt auf ungewöhnliche Weise entdeckt und damit zugleich ganz subtil auf ihr trauriges Schicksal aufmerksam macht: Das Meer holt sich Venedig zurück, und wir sind daran nicht unschuldig.

Nachdem er in der Schule ein Bild dazu gemalt hat, wie er sich seine Stadt wohl in der Zukunft vorstellt, lässt das Thema Marco nicht mehr los – und im Traum holt in tatsächlich die kleine Meerjungfrau aus seinem Wasserfarbengemälde ab und nimmt ihn mit auf eine ganz besondere Stadtführung. Sie besichtigen den Markusplatz, den Dogenpalast und den Campanile, und statt Menschen tummeln sich in den versunkenen Kirchenschiffen des Markusdoms nun die Fische, und der Wächter des Dogenpalasts ist ein Tintenfisch, der sich den Tag mit Kartenspielen vertreibt. Tatsächlich gibt es aber auch noch menschliche Bewohner, die sich an das Leben unter Wasser angepasst haben – und die Meerjungfrau erzählt Marco von früher, als zu wenig unternommen wurde, um ebendieses Wasser aufzuhalten. Sie zeigt ihm, wo früher Wasserstände an der Wand des Palazzo Dario eingetragen wurden, und nimmt ihn mit in berühmte Bildergalerien, die unter der Feuchtigkeit leiden.

Marco trifft Kinder, die von einem Leben über Wasser träumen, und als sie ihn bitten, Venedig zu retten, solange er es in seiner eigenen, echten Welt noch kann, da fasst er einen wichtigen Entschluss: Gleich morgen wird er seine Lehrerin darauf ansprechen, was jeder Einzelne von ihnen tun kann. Und die beiden Goldfische, die die Kinder aus seinem Traum ihm schenken, werden ihn an dieses Versprechen erinnern.

Bildgewaltig und zum Schwärmen schön, dabei aber auch schmerzhaft real und warnend, ohne den tadelnden Zeigefinger so hoch zu heben, dass er eine Abwehrreaktion bewirkt – so will die Geschichte als sensibles Plädoyer nicht nur zum Träumen verführen, sondern auch ein bisschen aufwecken. Man wünscht ihr, dass es gelingt.

Das Theater von nebenan

Bilderbuch ab 3
von Sonja Danowski
Bohem 2019

Dass der Verlag auch schwierige Themen nicht scheut, beweist noch um einiges deutlicher Das Theater von nebenan: Kinder in Konfliktsituationen stehen im Mittelpunkt einer leisen, starken und bestärkenden Geschichte, die beinahe nebenbei auch Rollenklischees hinterfragt und Gefühle wie Eifersucht thematisiert, vor allem aber – nicht nur kleinen Lesern – aufzeigt, dass es auch Möglichkeiten gibt, verfahrene Situationen aufzulösen, ohne dass jemand dabei Schaden nimmt.

Denn genau das gelingt Pia, ihrem Bruder Pablo und dem neuen Nachbarsjungen Ricky, auch wenn sie Situation sich zunächst bis zur scheinbaren Ausweglosigkeit zuspitzt. Eigentlich nämlich haben Pia und Pablo immer großen Spaß beim Handpuppenspiel gehabt – bis der neue Nachbarsjunge Ricky mit seinen ferngesteuerten Hubschraubern, den tollen Autos und Flugzeugen auftrumpft und sich über die Puppen lustig macht. Pablo sind sie nun auf einmal peinlich, und er beginnt, nur noch mit Ricky zu spielen. Pia ist traurig und verletzt – zeigt aber wahre Größe und viel Mut, als Ricky krank wird und im Bett liegen muss: Gemeinsam mit Pablo will sie ihm am Fenster etwas vorspielen. Zunächst lacht Ricky wieder über sie und scheint sogar richtig fies zu reagieren, als eine Puppe kaputtgeht. Dann aber erleben Pia und ihr Bruder eine echte Überraschung – denn bei ihrem nächsten Besuch stellt sich heraus, dass Ricky ein echter Reparaturkünstler ist … und Puppen nun vielleicht doch nicht mehr so doof und albern findet.

Rot ist doch schön

Kinderbuch ab 10
von von Lucia Zamolo
Bohem 2019

Doch nicht nur Kinderbücher hat Bohem im Programm, und so soll zuletzt auch der Blick auf eine nicht minder ernste, aber gänzlich anders aufbereitete, ebenso frech wie erfrischend für Jugendliche umgesetzte Thematik nicht fehlen, die den Zeitgeist trifft und zugleich weiter beflügelt und nicht zuletzt dafür bereits für das Wissenschaftsbuch des Jahres 2019 nominiert war.

Denn so flapsig es stellenweise daherkommt, so fundiert und klug ist Rot ist doch schön von Lucia Zamolo doch durchweg: In einer durchgehend handgeletterten Mischung aus Tagebucheinträgen, Sachwissen, Tipps und Anekdoten präsentiert die junge Autorin sämtliche Facetten der Regelblutung und reißt damit Tabus ein, die in der Öffentlichkeit und – mitunter vielleicht unbewusst – auch in den Köpfen unserer Gesellschaft doch nach wie vor bestehen.

Ängste zu nehmen, aufzuklären und vor allen zu entkrampfen, was doch eigentlich ohnehin schlicht völlig natürlich ist: Das sind die Ziele, die das bunte Sammelsurium verfolgt und dabei eine Brücke schlägt von absurden Vorstellungen der alten griechischen Philosophen bis hin zur Wahrnehmung in der Gegenwart. Eine Nähanleitung für ein Körnerkissen findet sich ebenso wie Aufmunterung für depressive Tage, ein biologischer Abriss über die Fakten neben einer Rundumschau darauf, wie andere Nationen mit dem roten Unsäglichen umgehen … ein Buch, das schwer zu fassen, aber sehr zu empfehlen ist, und zwar über alle Geschlechter- und Generationengrenzen hinweg. Ein besonderes Buch. Bohem eben.

Fabienne Pfeiffer aus der Bilderbuchredaktion

Fabienne Pfeiffer hat ihre Liebe zur Kinder- und Jugendliteratur zum Beruf gemacht und übersetzt nach ihrem Magisterstudium seit 2016 aus dem Englischen, querbeet vom Bilderbuch über Kinder- und Jugend(sach)bücher bis hin zu All-Age-Titeln. Wenn sie sich in ihrer Freizeit nicht ebenfalls korrigierend, rezensierend oder schlicht schmökernd mit Büchern beschäftigt, findet man sie am ehesten mit Hund in der Natur.
Beiträge von Fabienne

Titelbild des Beitrags: Fabienne Pfeiffer
Webseite des Bohem Verlags
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